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Channel: Comments on: Das Brexit-Referendum: Sieg für die Demokratie?
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Von: schorsch

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@Claire: Allgemein scheint mir das Problem bei einem solchen Referendum, das eine Debatte anstoßen soll, die Formulierung der Frage. Behandelt diese nämlich auch das Endergebnis, kann das dazu ermittelte Meinungsbild im Zuge der Debatte nicht so einfach aktualisiert werden. Ein Parlament kann etwas für eine gute Idee halten, eine Debatte führen und die Idee dann aufgeben oder modifizieren. Das ließe sich ja sogar als Zweck der Debatte beschreiben. Aber das geht nur, wenn Idee und Ergebnis durch dasselbe Verfahren zustande kommen. Ein späterer Parlamentsbeschluss ist eben kein actus contrarius zum Referendum.
Für den schlichten Auftrag zur Debatte schließlich braucht es kein Referendum. Dafür reicht jede Online-Petition. Berühmtes Beispiel: Die Petition für ein zweites Referendum, die nach dem ersten über 4 Mio. Unterschriften erreichte, wird am 5. September im Parlament debattiert werden.

Auch konkret beim Brexit hätte man die Frage dann zumindest bescheidener formulieren können. Ihrer Lesart (“… sind uns im Klaren, dass über die zukünftige Ausgestaltung keine Einigkeit erzielt werden kann”) wäre dann durch die Frage Ausdruck verliehen worden.
“Soll ein Antrag nach Art. 50 EUV gestellt werden?”, wäre eine eindeutige Variante gewesen. Sie hätte den Ausgang offengelassen, aber zur Einleitung des Verfahrens verpflichtet. Diese Einleitung ist ja auch der einzige Verfahrensschritt, den die britische Regierung unter ihrer alleinigen Kontrolle hat. Aus gutem Grunde werden völkerrechtliche Verträge NACH ihrer Aushandlung durch die Regierung (agent) dem Parlament (principal) vorgelegt.
Bei der gewählten Formulierung hingegen stellt sich durchaus die Frage, welchen Anspruch diese an das Endergebnis stellt. Wann bleibt das Vereinigte Königreich “Mitglied der Europäischen Union”? Gewiss, dass mag den auf eine formale Betrachtungsweise geschulten Juristen unter uns eindeutig vorkommen. Das ändert sich aber, wenn man sich die Argumente des Leave-Lagers anschaut.
Würde eine Norwegische Lösung dem genügen? Oder wäre ein solches Ergebnis angesichts der Sorge vor angeblicher europäischer Überregulierung ohne befriedigende demokratische Mitbestimmung nicht sogar ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung? Immerhin ist Norwegen an einen Großteil der europäischen Vorschriften gebunden, ohne an ihrer Entstehung beteiligt zu sein. Würden nicht zwangsläufig Stimmen laut, dass solch ein Ergebnis kein echter Austritt, sondern eine Mogelpackung sei? Muss oder kann sich ein britischer Unterhändler zu einem “Austritt im materiellen Sinn” verpflichtet fühlen?
Andersherum: Wäre eine absolute Loslösung vom gemeinsamen Markt ein zufriedenstellendes Ergebnis? Warum wurde es dann von vielen als Drohung empfunden, als Schäuble sein “raus heißt raus” sprach? Gerade diese Reaktion macht doch sehr deutlich, dass es eigentlich nicht um zwei klare Alternativen ging.


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